Interprofessionelle Zusammenarbeit in der niederschwelligen Suchtarbeit - mehr als die Summe ihrer Teile
von Barbara Seger, Leiterin Wiler Integrations- und Präventionsprojekte
Die Arbeit in der niederschwelligen Suchthilfe ist durch die Zusammenarbeit diverser Professionen gekennzeichnet. Dies liegt daran, dass schon der Begriff «Sucht» mehrdimensional ist und je nach Blickwinkel und Profession als medizinisches oder als soziales Problem betrachtet und behandelt werden kann. Suchterkrankungen können auch als psychiatrische oder neurobiologische Probleme angesehen werden.
Sucht hat viele Gesichter: Oft tritt sie sehr eng mit psychiatrischen Erkrankungen wie Depression, ADS/ADHS oder mit Psychosen und in Kombination mit weiteren psychiatrischen Erkrankungen auf. Auch somatische Erkrankungen begünstigen Sucht und führen oft zu sozialer Isolation und Einsamkeit. Menschen, die unter einer langjährigen Suchtmittelerkrankungen leiden, entwickeln zudem Folgeerkrankungen und Beschwerden sowohl somatischer wie auch psychiatrischer Natur. Dieser Umstand bedingt, dass Fachpersonen, die mit Suchtpatient:innen arbeiten, auch ein entsprechendes suchtmedizinisches Fachwissen, Verständnis sowie Wissen aus anderen Professionen mitbringen sollten. Die Haltung und das Konzept der Schadenminderung spielen dabei ebenfalls eine grosse Rolle.
Wenn wir Menschen mit einer Suchterkrankung begleiten und behandeln wollen, dann hängt die Qualität der Behandlung oft stark davon ab, wie gut die verschiedenen Professionen sich verständigen und zusammenarbeiten können. Gelingt eine gute Zusammenarbeit zwischen medizinischen, psychiatrischen, sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Akteuren, kann sich die Lebensqualität der betroffenen Personen immens verbessern. Gerade im ambulanten Bereich gibt es sehr viele Möglichkeiten, in der Lebenswelt der Klient:innen Prozesse durch gelungene interprofessionelle Zusammenarbeit anzuschieben, um die Probleme der suchterkrankten Menschen zu lindern. Folgen davon können sein, dass sich der Suchtmittelkonsum stabilisiert, die Klient:innen sich wieder vermehrt an Aktivitäten beteiligen und ihre sozialen Kontakte wieder mehr pflegen.
Dank einem idealen Zusammenspiel von Angeboten der Spitex und der Sozialen Arbeit wird es für Menschen mit einer langjährigen Suchterkrankung möglich, in einer eigenen Wohnung zu leben. Auf der einen Seite erhalten sie von der Spitex pflegerische und psychiatrische Unterstützung, und auf der anderen Seite unterstützt die Soziale Arbeit im lebenspraktischen Bereich durch Begleitungen und psychosoziale Unterstützung. Auch das Regeln der finanziellen Belange trägt dazu bei, dass sich die Lebenssituation von Klient:innen verbessert. Diese Kooperationen ermöglichen ein nahezu selbstbestimmtes Leben. Ganz nebenbei werden durch diese niederschwelligen ambulanten Versorgungsangebote die Kassen der Gemeinwesen nicht unwesentlich entlastet.
Da sich interprofessionelle Zusammenarbeiten als sehr wertvoll erwiesen haben, hat sich auch der Fachverband Sucht mit dieser Thematik beschäftigt und dazu das "Lenzburger Modellkonzept zur Zusammenarbeit von Spitex und Suchthilfe" entwickelt. Persönlich hoffe ich, dass dieses Modellkonzept in möglichst vielen Spitex-Einrichtungen Einzug findet und zur Anwendung kommt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kooperationen zwischen der Spitex und der Sozialen Arbeit und das gegenseitige Verständnis für die jeweils unterschiedlichen Zielsetzungen eine grosse Zukunft haben und eine Erfolgsgeschichte schreiben werden. Es ist für alle ein Gewinn – insbesondere für unsere Klient:innen. Aber auch für die Spitexfachleute und die Fachkräfte der Sozialen Arbeit können die verschiedenen fachlichen Herangehensweisen, Ausrichtungen und das fachliche Knowhow aus den verschiedenen Professionen ein grosser Gewinn und eine Erweiterung des Aktionsfeldes sein, um künftigen Herausforderungen in der ambulanten Versorgung von Menschen mit Suchterkrankungen interprofessionell zu begegnen und Aufgaben gemeinsam zu bewältigen.
Weitere Informationen:
- Fachverband Sucht, «Lenzburger Modellkonzept zur Zusammenarbeit von Spitex und Suchhilfe»
- Plattform Alter und Sucht «Lenzburger Modellkonzept zur Zusammenarbeit von Spitex und Suchthilfe
- Spitex Magazin «Eine Sucht früh erkennen und bekämpfen»
- Spitex Magazin «Die Spitex als Türöffnerin für eine aufsuchende Suchtberatung»
- Sucht Magazin «Suchthilfe und Alterung der Menschen mit einer Opioidabhängigkeit»
- Gesundheitsförderung Schweiz «Projekt «1+1=3: Interprofessionelle Kooperation von Spitex und Suchthilfe»